vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 94

Portraits

Julia Schmid | Tue Greenfort | Kerstin Cmelka | Frank Stella | Kris Martin

Interview

Marius Babias

Page

Kornelia Hoffmann

Edition

Kerstin Cmelka

Portrait

Ausstellungsansicht: Tue Greenfort, GASAG Kunstpreis 2012, Foto: Jirka Jansch

Textauszug

Tue Greenfort
Erwärmt sich »unsere« Welt in der Zukunft um mehr als zwei Grad, dann wären die Folgen der Klimakatastrophe unkontrollierbar – so hieß es einhellig in den letzten knapp zehn Jahren und darum wurden auf zahlreichen Klimakonferenzen weltweit Wege gesucht, die Erwärmung unter diesen magischen zwei Grad zu halten. Vergeblich, wie wir wissen, die Profitraten der Wirtschaft schienen stets wichtiger zu sein und verhinderten jedwedes Abkommen.

Die Kombination von Kunst(geschichte), Alltag und alternativer Praxis (vor Ort) gibt in der Folge den dissonanten Dreiklang vor, der Greenforts engagierte Kunst meist spannungsvoll charakterisiert. Da ist z. B. seine Rauminstallation »Plant Oil Circulation – After Hans Haacke 1969«, 2007. Mit dieser Installation bezieht sich der dänische Künstler einerseits, der Titel spricht es an, auf Hans Haackes Bodenarbeit »Circulation«, 1969, andererseits auch auf sein eigenes Projekt »Kostenfreie öffentliche Buslinie«, 2005. Hans Haackes Arbeit bestand damals aus einem Netz dünner Kunststoffschläuche, durch die Wasser gepumpt wurde. So schuf Haacke eine konkrete Metapher für die Gesellschaft als »geschlossenes System« (Niklas Luhmann).

Eben ein solches Netz liegt auch bei »Plant Oil Circulation – After Hans Haacke 1969« auf dem Boden des Ausstellungsraumes, nur wird dieses Mal nicht Wasser, sondern Biokraftstoff durch die dünnen Schläuche gepumpt. Dazu dient ein roter, in der Ecke stehender Treibstofftank, der aus einem der beiden Busse stammt, die Greenfort im Rahmen der Ausstellung »Whiter Shade of Pale« in Glückstadt für sein Projekt »Kostenfreie öffentliche Buslinie« nutzte, um zwischen zwei norddeutschen Kleinstädten einen kostenfreien Bus-Shuttle einzurichten. Dieser wurde in alternativ gedachter Praxis mit Biokraftstoff angetrieben. Durch die Verschränkung von Haackes Bodenarbeit mit dem eigenen, aktiv in alltägliche Realität eingreifenden Projekt »Kostenfreie öffentliche Buslinie« gelingt es Tue Greenfort den Gedanken Haackes bzw. Luhmanns weiterzudenken, und zwar in der Weise, dass er die Annahme eines geschlossenen Systems zwar anerkennt – was anderes ist unser Ökosystem? –, aber dennoch die Möglichkeit von alternativen Möglichkeiten des Handelns in diesem nicht ausschließt. Greenforts Installation funktioniert so als »real-existierendes Modell« (Charles Esche), das, statt grundsätzlich die von ihm vorgefundene politische Situation revolutionieren zu wollen, in deren systemimmanenten Gegenwart und Funktionslogik versucht neue, (über)lebenswertere Realitäten zu infiltrieren.

Auf der dritten Glasfläche dann sind Zeitungsartikel u. ä. über den legendären Eisbären »Knut« zu sehen. Ein Bär ist ja nicht nur das Wappentier der Stadt Berlin, sondern seit neuerem auch Werbeträger in dem Erscheinungsbild der GASAG, die auch die Berliner 1.Liga-Eishockeymannschaft, die »Berliner Eisbären«, sponsert. Vor allem aber ist der Eisbär unheilvolles Symbol für die Folgen der Klimakatastrophe, da sein Lebensraum aufgrund der Klimaerwärmung bekanntlich unaufhaltsam vernichtet wird. Widersprüche wie diese bedenkt Greenfort in »Erdglas« immer wieder und vergisst dabei auch sein eigenes Betriebssystem und die Rolle, die er selbst in ihr spielt, nicht. Auf der Längswand des Ausstellungsraumes hat er deswegen diverse Dokumente gehängt, die so unterschiedliche Themen wie die Sammlung Boros, vegetarische Kost, die Off-Szene in Berlin, neue technische Bildreproduktionen und die Vergabe von Kunstpreisen lapidar in den diskursiven Raum stellen. So gelingt es dem Künstler, diesen Kunstpreis und die mit ihm verbundene Ausstellung zu akzeptieren, ohne sich von dem Unternehmen gleichsam als »gutes ökologisches Gewissen« instrumentalisieren zu lassen.

Raimar Stange