vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 76

Portraits

Karina Nimmerfall | Mark Leckey | Nairy Baghramian | Eske Schlüter | Manfred Pernice

Interview

René Zechlin

Page

Sandra Vasquez de la Horra

Polemik

Hajo Schiff

Künstlerbeilage

Claudia Medeiros Cardoso

Edition

Katharina Mayer

Portrait

Hocker (Aufsicht), Große Klappe 1, 2008, Courtesy Galerie Christian Nagel, Köln/Berlin

Textauszug

Nairy Baghramian
Vielleicht legen es die Skulpturen von Nairy Baghramian auch nahe, dass man sie anders ansieht, dass man ihnen mit ausgesuchten Worten begegnet, sie für beseelter, körperhafter, präsenter nimmt, als andere. Zuweilen tragen sie Mädchen-Namen (»Trennwände mit Ohrringen (Anna, Martha, Vartuhi)«), oder bekommen Körperteile angedichtet (»Klappen mit goldenen Zähnen«).

An die Wand gelehnt, als suchten sie selbst nach Halt, sind dort vier »Hocker« (2008) in den Versionen »(Aufsicht)« und »(Besucher)«, die Nairy Baghramian in einigen Räumen verteilt hat. Die Statik wirkt hier ausgetrickst, ein optischer Trick, fast dysfunktional ausgespielt. Man vertraut sonst sogar dünnen Rohren von Freischwingern,. Vor dieser verkippten Form aus schimmerndem Aluminium schreckt man zurück, denn dem Blick gehen die Umrisslinien verloren. Ein Gummistück kaschiert das Geheimnis dieses optisch kippeligen Sitzmöbels, das nicht aus einer gebogenen Platte, sondern zwei verschränkt-verschraubten Winkeln besteht.

Diese merkwürdigen Gelenke, Verbindungsstücke begegnen einem dann im Rundlauf durch die sieben kleineren Kabinette stetig wieder: Nairy Baghramian hat die Schwellen inszeniert, die Übergänge der Säle, indem sie ihre Arbeiten bevorzugt dort einpasst. »Türsteher« und »Klappe« biegen sich im Türrahmen oder recken sich um die Ecke - sie selbst bestehen aus Gummi, Metall, dunkel lackierten Flächen von unregelmäßiger Krümmung und Winkelung. Häufig sind die Scharniere starr, andere Verbindungen wirken lose, wie aufgesteckt. Wo sie sich falten könnten, bleiben sie hart, die Sockel dagegen sind aus weichem Bauschaum, eher knorpelig denn elastisch. Dabei sind die Arbeiten in der Symmetrie der herrschaftlich-klassizistischen Architektur zwar spiegelbildlich angeordnet, sie selbst unterlaufen mit ihrer eigenwilligen Unförmigkeit jedoch alles Pathos: Stehen weder im Weg, noch an dessen Seite. Sind weder Zielpunkt, noch werden sie der Betrachtung ausgeliefert. Die »Spanner«, auf Seile aufgefädelte Metallrohre, die von Wand zu Wand aufgehängt wirken wie eine Absperrung - doch bleibt es den Besuchern überlassen, diese Absprache zu durchkreuzen

Catrin Lorch