Artist Ausgabe Nr. 48

Portraits

Paloma Varga Weisz | Isabell Heimerdinger | Peter Zimmermann | Anna Guðjónsdóttir | Christoph Girardet

Interview

Thomas Olbricht

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Till Freiwald

Künstlerbeilage

Olaf Nicolai

Interview

Textauszug

Thomas Olbricht
J.K.: Nach Rainer Speck macht Sammeln krank, führt zu Familienstreitigkeiten, schlaflosen Nächten und zu Schulden. Wollen Sie diese Erfahrungen bestätigen?
T.O.: Oft kreisen meine Gedanken um die Sammlung und ich überlege, mußte das sein oder muß das sein. Und dies sind sicherlich Momente, die schlaflose Nächte bereiten können. Familienstreitigkeiten gibt es bei uns deshalb nicht. Eine gewisse krankmachende Wirkung kann dieser Sammeltrieb möglicherweise besitzen.

J.K.: Die Ausstellung schockiert und provoziert, lautet der Tenor zahlreicher Kritiken in den Feuilletons. Auch ist die Rede von Schock-Ästhetik oder es heißt lapidar Olbricht läßt es krachen. Wer wird eigentlich provoziert und schockiert. Ist es das Publikum, das beruflich mit Kunst zu tun hat oder diejenigen, die ab und an eine Ausstellung besuchen, sind es die Schulklassen oder die älteren Herrschaften aus besseren Stadtteilen, die Kunststudenten oder die Rotarier?
T.O.: Ich denke die Besucher insgesamt. Herausnehmen möchte ich eine jüngere Gruppe von Menschen, die sich mit dieser Kunstrichtung schon intensiv auseinandergesetzt haben. Die Ausstellung soll nicht schockieren, sie soll berühren. Die Kunst gibt Dinge wieder und nimmt sie aber auch vorweg, die in unserem Leben eine Rolle spielen. Dinge, die wir jedoch verdrängen oder in unser Leben so integriert haben, daß wir sie gar nicht mehr erkennen. Plötzlich erscheinen diese Themen als Kunst und uns wird bewußt, daß das etwas Besonderes ist, da wollen wir möglicherweise schnell wegschauen. Wenn wir hingegen so etwas im Fernsehen sehen, dann ist das Normalität, und wir reagieren eher gelangweilt. Dieser Dualismus interessiert mich und ist eine entscheidende Antriebsfeder für die Ausstellung in Bremen, sonst hätte man die Arbeit von John Isaacs mit dem halbskelettierten Menschen nicht zeigen müssen.
J.K.: Welche Arbeiten haben überhaupt das Potential, dauerhaft zu provozieren. Ist es nicht das Schicksal der Avantgarde, zu Klassikern zu avancieren, ist es nicht das Schicksal jedweder Provokation, zur Gewohnheit oder zum Standard zu werden?
T.O.: Die Frage der Verfallzeit solcher Kunstwerke wird erst die Kunstgeschichte künftiger Generationen beantworten können. Nochmals: der Ausdruck schockieren ist nicht richtig. Jemanden mit etwas konfrontieren, weil er es sonst lieber aus seinem Leben verdrängt. Das wird ihm in der Ausstellung ganz klar vor Augen geführt. Manche gehen vorbei oder sind fasziniert, andere sind tatsächlich schockiert, hin bis zur Aggressivität, was dort denn für ein Mist hängt. Genau darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe der Kunst, die ich als Sammler transportieren

Joachim Kreibohm