vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 112

Portraits

Michael Kienzer | Michaela Meise | Liz Magor

Page

Stefanie von Schroeter

Edition

Katja Aufleger

Ausstellung

Petrit Halilaj, »Do you realise there is a rainbow even if it’s night«, 2017, Qilim/Dyshek/Jan carpets from Kosovo, polyester, flokati, chenille wire, stainless steel,
brass dimensions variable, Foto: Andrea Avezzù, Courtesy: La Biennale di Venezia

Textauszug

La Biennale di Venezia 2017
Viva Arte Viva – Jubelschreie sind auch keine Lösung

INDIANER: Die Indianer sollen es richten. Das ist etwas hippiesk und zudem nicht neu. Schon 2005 tanzten die Chavantes im alten Arsenal der Republik Venedig. Nun also sind es die Huni Kuin, die der dem Kunstmarkt durchaus nicht unbekannte brasilianische Künstler Ernesto Neto in ein von ihm aus Schnüren angedeutetes Zeremonialzelt geholt hat, um in der Eröffnungswoche der 57. Biennale per Amazonas-Magie die Welt zu verbessern. Könnte es sein, dass die Kunst sich da etwas erlaubt, was den Ethnologen inzwischen übel angekreidet würde? Während die Völkerkunde objektivierend Verhältnisse und Bedeutungen analysiert, setzt die Kunst auf die Schönheit und Kraft gegenüber Unkundigen, ganz so als könne uns das Fremde noch rückhaltlos verzaubern? Die Pariser Chef-Kuratorin Christine Macel scheint mit dem emphatischen Biennale-Motto »Arte Viva« in der Tat jubelnde Begeisterung für die Kunst einzufordern, die für sie eine eigensinnige Bastion der Freiheit, der Hoffnung und der Intensität ist. Das ist angesichts der weitgehenden Politisierung und Soziologisierung der großen Kunstschauen ein Ruf, der Kernkompetenz der Künste zu vertrauen, ja jede genuin künstlerische Äußerung schon als utopisch zu schätzen und Vertrauen in ihre Gestaltungskraft und Wirkung zu haben.

Doch betrachtet man die auffallend oft ausgewählten handwerklichen Arbeiten mit Stoff, so vermittelt sich eine vergleichsweise einfache Botschaft: Das Verbinden von individuellen Fäden zum kollektiven Stoff ist eine brauchbare Metapher der Gemeinschaft. Solche Interpretationen liegen nahe, da Christine Macel durchaus didaktisch die kuratierte Hauptaustellung in neun Themenräume gegliedert hat. Einer von denen ist eben den Schamanen gewidmet… und schon kommen Zweifel auf. Nicht nur weil die Indianer im Bereich Schamanen verortet sind, die kalifornische Tanzpädagogin Anna Halprin aber unter dem Label des »Gemeinschaftlichen« läuft. Dabei soll deren »Planetary-Dance« doch ebenfalls die Erde retten und ausdrücklich auch schon zur Festnahme eines Frauenmörders geführt haben. Dass weitere Indianer in den Videos von Juan Downey sogar neben der Mitmachkunst von Rasheed Araeen im Eingangsraum des Arsenals prominent vertreten sind, macht Kriterien und Ausrichtung der doch manchmal etwas gestrig wirkenden Hauptschau der Biennale nicht gerade klarer.

GERMANIA: Da die Biennale die letzte Ausstellung ihrer Art ist, die ernsthaft Preise verleiht: Deutschland ist Sieger. Ein Goldener Löwe für Franz Erhard Walther als besten Künstler in der Hauptausstellung und ein Goldener Löwe für den besten National-Pavillon. 1909 als Bayerischer Pavillon nach antikisierenden Entwürfen des venezianischen Architekten Daniele Donghi erbaut, 1938 auf Hitlers Befehl in der NS-Architektursprache umgebaut und heute unter italienischem Denkmalschutz stehend, haben sich fast alle deutschen Beiträge, besonders die schon bisher prämierten, an seiner bloßen Form abgearbeitet. Das tut auch Anne Imhof. Sie betont das Martialische mit einem Dobermann-Zwinger und das Repräsentativ-Abweisende mit Panzerglas. Auch der doppelte Boden darf wortwörtlich als Doppelbödigkeit verstanden werden. Vor allem sind es aber die zwischen Tanz und lebenden Bildern mehr präsenten als agierenden Personen, die das Gebäude mit zombiehaftem Tun ausstatten. Ferngesteuert über SMS-Befehle demonstrieren sie unter, über und zwischen dem Publikum ein gestörtes und verstörendes Verhalten, das die Besucher durch die notwendigen Reaktionen gleich mitchoreographiert. Alle Handlungs- und Kommunikationsversuche der traumwandlerisch mit starrem Blick, aber auch mit aggressiven Momenten auftretenden Personen werden immer wieder abgebrochen und laufen ins Leere. Eine Dystopie, die mit ihrem Titel »Faust« das goethisch-faustische in die ohnmächtige Verzweiflung der geballten Faust umdeutet und trotzdem nur ein vielleicht zu cooles Ritual extremer Ratlosigkeit zelebriert. Aber gerade die ist zwischen sonstigen konservativen, zynischen oder aktionistischen Haltungen eine aktuell präzise erfasste und preiswürdige Position.

KOLLATERAL: Ist die 57. Biennale nun gelungen? Immerhin erstaunlich, dass die 1895 gegründete Ausstellung unter den Hunderten von Nachfolgern immer noch die wichtigste der Welt ist. Visionen und Retrospektiven, Politik und Glamour: Nirgends bieten sich so viele Optionen. Dazu kommen in Venedig immer weitere zeitgleiche Ausstellungen, meist mit klarem Thema, deutlicher Methode und spezifischer Botschaft. Diesmal werden 23 »Collateral Events« aufgelistet, aber es gibt mehr und auch wichtigere als manche der offiziell mit Biennale-Logo versehenen Ausstellungen. Allein auf San Giorgio Maggiore laufen drei kleine Retrospektiven: Aligiero Boetti, Michelangelo Pistoletto und Robert Rauschenberg. Damien Hirst bespielt im Palazzo Grassi und der Punta della Dogana in Hollywoodmanier mit seinem größenwahnsinnigen Projekt »Treasures from the Wreck of the Unbelievable« beide Häuser des Milliardärs Pinault. Im Palazzo Fortuny gibt es zum sechsten und letzten Mal eine Kooperation des Museums mit dem belgischen Kunsthändler und Top-Einrichtungsdesigner Axel Vervoordt, in der in berauschend komplexer Weise hochrangige Artefakte aus allen Welten und allen Zeiten kombiniert werden. In der Fondazione Prada ist die von allen gelobte Inszenierung »The Boat is Leaking. The Captain Lied.« mit ihren im realen und metaphorischen Sinne zahlreichen Türen zu erleben, in der Udo Kittelmann mit dem Bühnenbild von Anna Viebrock Thomas Demand und Alexander Kluge in Beziehung setzt. Und am Canal Grande grüßt ein goldener Turm von James Lee Byars. Es ist also bis zum 26. November wieder einmal zu einem Besuch zu raten – auch deshalb, weil Venedig selbst trotz allem Touristenterror einzigartig ist.

Hajo Schiff