vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 59

Portraits

Isa Melsheimer | Santiago Sierra | Meuser | The Atlas Group / Walid Raad | Carol Bove | Diana Thater

Interview

Bernd F. Künne

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Marcel van Eeden

Künstlerbeilage

Horst Müller

Portrait

Broken Circle, 1997/2001, 6 Videoprojektoren, 6 DVD-Player, David Zwirner, N.Y., Foto © Roman Mensing/artdoc.de, »Diana Thater. Keep the faith. A survey exhibition.«, Museum für Gegenwartskunst Siegen. (Bis 20. Juni 2004)

Textauszug

Diana Thater
»Broken Circle«, der zerbrochene Kreis, von dem der Titel der Arbeit berichtet, ist auch das Aufbrechen jeder linearen Erzählfolge. Im Grunde besteht der ganze »Film« nur aus einer einzigen Sequenz, aus der kreisförmigen Jagd der Pferde an den Kameras vorbei. Thater fragmentiert sie und spaltet sie auf in Myriaden von Bildern. So scheint sie darzustellen, was seit den berühmten Versen von T.S. Eliot in seinem Gedichtzyklus »The Waste Land« als Signatur der Moderne zu gelten hat. Dass uns nicht mehr das Ganze eignet. Weder das Ganze der sogenannten »großen Erzählungen«, die Mensch und Welt sinnreich miteinander verspannen, noch das Ganze eines idealistischen Menschenbildes.

Thaters Werk ist ein Balanceakt auf hohem Niveau. Zwischen Realität und Illusion, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Bildraum und Realraum, Panorama und Fragment, Innen und Außen. Und mittendrin der Betrachter als Teil der Arbeit, der in Bewegung gehalten wird, treppauf, treppab, und mit ihm seine Gedanken und Sinne. Es geht ihm dabei wie dem griechischen Peripatetiker, der im Gehen philosophierte. Jede wohlige Versenkung in das filmische Geschehen ist ihm verwehrt, und doch genießt er, was an Bildern und Farben auf seine Netzhaut trifft. Der ästhetische Genuss steht in enger Verbindung mit der Kunstauffassung der amerikanischen Künstlerin. In ihrem Zentrum steht trotz des diskursiven Gehalts ihrer Werke der unzeitgemäße Begriff der Schönheit. In der Bremer Kunsthalle, die zusammen mit dem Siegener Museum Diana Thaters Werk gegenwärtig in einer Übersicht zeigt (Siegen stellt vor allem die frühen, Bremen überwiegend die neueren Arbeiten vor), hat die Künstlerin ihr artistisches Credo an die Wand geschrieben: »Beauty has depth. History has meaning. Screw the market. Keep the faith«. Der Glaube an die Kunst, den Thater hier gegen die Zwänge des Marktes und gegen die Geschichtsvergessenheit weiter Teile ihrer Zunft beschwört, ist zuvorderst der Glaube an die Form. Thater setzt die Schönheit des Werkes an die erste Stelle. Aber das meint nicht dekoratives l´art pour l´art. Die Akzentuierung der Form bedeutet nicht, dass es Thater nicht auch um Inhalte ginge. Die Schönheit ist tief, schreibt sie. Das erinnert an die berühmte Nietzsche-Zeile: »Die Nacht ist tief, und tiefer als der Tag gedacht«. Die Schönheit der gelingenden Form ist für die Künstlerin zugleich eine zuverlässige Führerin durch die Wirren von Welt und Ich.

Michael Stoeber