Artist Ausgabe Nr. 128

Portraits

Joulia Strauss | Dave Bopp | John Miller | Ibrahim Mahama

Interview

Andreas Beitin

Page

Alice Gericke

Edition

Dave Bopp

Portrait

Logo, Avtonomi Acadimia, Logo, Courtesy the artist

Textauszug

Joulia Strauss
Strauss wurde 1974 in der Sowjetunion im Volk der Mari, eine der letzten indigenen Kulturen Osteuropas, geboren
und ist so »seit Kindesbeinen« mit schamanistischen Traditionen vertraut. Später studierte sie an der Neuen Akademie der Schönen Künste in St. Petersburg und an der Akademie der Künste in Berlin, arbeitete intensiv mit Friedrich Kittler und Peter Weibel in unterschiedlichen Projekten zusammen.

Die von Joulia Strauss initiierte »Avtonomi Acadimia« ist nicht nur ausgesprochen adisziplinär angelegt, sondern richtet sich vor allem auch dezidiert gegen jedwede instrumentelle und logozentristische Vernunft, auf die sich das »westliche« anthropozentrische Weltbild aufbaut. So kommen in dieser grass-roots-Universität die von Strauss (selbst) erklärten Professoren und Professorinnen aus so unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel Kunst und Wissenschaft, Yoga und Aktivismus, Musik und alternativem Theater ... Diese Professoren »unterrichten« dann die Studierenden – eine Zulassungsbeschränkung, einen »Numerus Clausus« gibt es, wie bei Joseph Beuys’ »Freier Universität« bekanntlich auch, selbstverständlich nicht - in einem offenen Dialog mit einem »horizontalen Austausch von Wissen« (Strauss).

Die Tätigkeit von Joulia Strauss rund um die »Avtonomi Acadimia« mündet immer wieder auch in bildnerische Produktionen der Künstlerin. So gestaltet sie die gesamte Corporate Identity der Schule, die vom einfachen Logo über Flyer und Plakate, von Illustrationen zu den Publikationen des Instituts bis hin zu gezeichneten Porträts der Professoren reicht. Diese von Strauss selbst als »Deathropozänzeichnungen« bezeichneten Bildnisse stellen die eben Nicht-Lehrenden, sondern Mitlernenden in einer Form dar, die symptomatisch für die Lebenshaltung der Künstlerin ist: Vordergründig als Fabelwesen erscheinen diese Porträts, besser aber sind sie als Mensch/Tier-Vereinigung zu beschreiben. Strauss befragte nämlich sich und ihre Mitstreiter an der »Avtonomi Acadimia« nach dem Tier, mit dem sie sich am meisten identifizieren können. Diese »Deathropozänzeichnungen« zeigen also so etwas wie Tier-Mensch-Hybride, die genau dafür stehen, dass Menschen alles andere sind als nur »vernunftbegabte« Wesen, die angeblich einen besonderen Rang unter dem Lebenden einnehmen.

Drei Jahre später folgte der nächste artivistische Streich: »Occupy Museum« inklusive Joulia Strauss demonstrierten gemeinsam mit der internationalen Artivisten-Gruppe Gulf Labour im Kontext der 56. Venedig Biennale gegen das dortige Peggy Guggenheim-Museum. Auch dieses traditionsreiche Haus wurde damals kurzzeitig besetzt, angeklagt wurde dieses Mal von den Artivisten die Untätigkeit des Peggy Guggenheim-Museums angesichts der skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter, die in dem Emirat Abu Dhabi am Bau der dortigen Zweigstelle des Museums täglich nicht weniger als ihr Leben riskierten. Statt nostalgische Rückbesinnung auf Avantgardekunst wurde so von den beiden Künstlerkollektiven engagiert soziale Verantwortung im realen Leben eingefordert.

Gute Beispiele für die Videokunst von Joulia Strauss sind ihre Arbeiten »Tribute to Sista Mimi«, 2019, und »Transindigenous Environmental Front for the Green Bangalore«, 2019. Das erste Video stellt die aus Kenia nach Deutschland geflohene Musikerin und Politaktivistin Sista Mimi, die vor ihrem frühen Tod 2014 ein Gesicht der »Refugee Strike Bewegung« gewesen ist, vor. Zu Sista Mimis bis heute wichtigsten politischen Forderungen zählt die Abschaffung aller Flüchtlingslager, das Bleiberecht für alle, Bewegungsfreiheit sowie das Recht auf Ausbildung und Arbeit für Migranten. Das von Strauss stereoskopisch gefilmte Video zeigt zudem unterschiedliche Demonstrationen gegen die offizielle Flüchtlingspolitik 2012 auf den Straßen Berlins. Der 3D-Effekt des Videos lässt die Betrachter gewissermaßen dem Geschehen beitreten und so zum sich solidarisierenden Teil der Demonstration werden. Des weiteren sind Szenen brutaler Polizeigewalt während der Blockupy-Demonstration gegen die Europäische Zentralbank 2015 in Frankfurt am Main von der Künstlerin in das Video montiert. Zu hören ist zudem ein von Sista Mimi und der Gruppe »Antinational Embassy« geprobtes Protestlied gegen deutsche Waffenexporte. Die Ästhetik dieses Videos changiert so in ihrer collagenartigen Struktur konsequent zwischen dokumentarischer Präzision und agitatorischer Aggression.

Raimar Stange