Interview

Kabinett für aktuelle Kunst, Bremerhaven

Textauszug

Jürgen Wesseler
J.K.: Sie zeigten beispielsweise Andre, Anselmo, Balkenhol, Barry, Becher, Buren, Darboven, Genzken, Kawara, Knoebel, Mucha, Laib, LeWitt, Palermo, Partenheimer, Penone, Polke, Richter, Rückriem, Ruthenbeck, Tuttle, Visch, Walther, Weiner, Zeniuk. Etliche der Künstler wurden vorgestellt, bevor sie ihre documenta-Auftritte hatten. Warum ist es Ihnen immer wieder gelungen, die Avantgarde für eine Ausstellung im Kabinett zu begeistern?

J.W.: Die Künstler hatten im Kabinett die Möglichkeit, mit dem Raum zu experimentieren, etwas Unkonventionelles zu machen. Sie waren nicht den üblichen Zwängen ausgesetzt, sie standen nicht unter Verkaufszwang, der Galerist schaute ihnen nicht über die Schulter, die Kritiker warteten nicht mit gespitztem Bleistift. So entdeckten die Künstler schnell den Reiz des an der Peripherie liegenden Kabinetts. Wir haben uns unsere Vorbilder selbst erarbeiten müssen. Auch heute noch habe ich mich gegen den Publikumsgeschmack, der häufig hier in Bremerhaven Maritimes und leichte Kost bevorzugt, zu behaupten. Nach wie vor kann ich den Künstlern, die bei mir ausstellen, kauffreudige Sammler, finanzgewaltige Sponsoren und viel Publicity nicht bieten. Im übrigen ist Provinz immer nur dort, wo man sie zulässt.

J.K.: In einer meiner Lehrveranstaltungen an der Uni, zu der ich Sie eingeladen hatte, fragte Sie eine Studentin: Wo gibt es noch gute Ausstellungen außerhalb Bremerhavens? Ihre Antwort: Nirgendwo. Die Studentin war überrascht und nahezu sprachlos. Übersah Sie das Zwinkern in Ihren Augen oder war es so gemeint wie gesagt?

J.W.: Es war eine ironische Anspielung und zugleich eine Reaktion auf viele Ausstellungen, die dadurch auffallen, dass sie als reine Verkaufsausstellungen publikumswirksam konzipiert sind. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass nur wenige Ausstellungen überzeugen. Ich habe mitunter den Eindruck, dass es mehr gute Galerien als gute Künstler gibt. Durch den Zwang zu verkaufen, durch den Zwang, dem Markt ständig frische Ware zuzuführen, werden die Künstler immer schneller verheizt. Im besonderen stehe ich thematischen Ausstellungen kritisch gegenüber. Die Künstler werden zum bloßen Illustrationsmaterial degradiert, um irgendwelchen Thesen von Kuratoren zu entsprechen. Oftmals wollen die textlastigen Kataloge, die diese Ausstellungen begleiten, schlauer sein als die Werke. Ein Drama.

Joachim Kreibohm