Artist Ausgabe Nr. 114

Portraits

Reinhold Budde | Thomas Judisch | Candice Breitz | Korpys / Löffler

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Wiebke Siem

Edition

Thomas Judisch

Interview

Bettina Steinbrügge, Direktorin, Kunstverein in Hamburg

Textauszug

Bettina Steinbrügge
J.Krb.: Nach Auslandsaufenthalten in den USA und Frankreich (1990-1992) studierten Sie in Kassel Kunstwissenschaft, Englische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft. Von 1998 bis 2001 arbeiteten Sie am Kasseler Kunstverein und 2000 für die 4. Werkleitz Biennale. Von 2001-2007 waren Sie künstlerische Leiterin der Halle für Kunst in Lüneburg. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin im Leitungsteam des Kunstraums der Universität Lüneburg im selben Zeitraum realisierten Sie im Rahmen der EU-Projekte »transform« und »translate« mehrere Ausstellungen. Seit 2009 lehrten Sie im postgradualen Masterprogramm des CCC an der Haute École d’Art et de Design in Genf. Bis Herbst 2011 kuratierten sie für La Kunsthalle Mulhouse. Im Winter 2010 wurden Sie als Kuratorin für zeitgenössische Kunst an das Wiener Belvedere berufen, wo Sie im Team das Profil des neuen 21er Haus formten. Seit Januar 2014 sind Sie als erste Frau Direktorin des Kunstvereins in Hamburg in seiner 200jährigen Geschichte und haben mit 44 Jahren die Nachfolge von Florian Waldvogel angetreten. Worin liegt für Sie der Reiz dieser Tätigkeit?

B.St.: Ich mag das Arbeiten in kleineren Zusammenhängen und in Institutionen, die sich immer neu erfinden müssen. Es ist näher an der Jetztzeit, am Künstler und an den Ideen, die heute entwickelt werden. Das spornt mein Denken an und irgendwie ist die Arbeit am Experiment zufriedenstellend. Am Kunstverein in Hamburg hat mich neben seiner beeindruckenden Geschichte, aus der man wirklich viel lernen kann, insbesondere auch die Architektur interessiert, da sie herausfordert und man nur mit aber nicht gegen sie arbeiten kann. Das lässt jedes Mal etwas ganz Eigenes entstehen, wie man zuletzt gerade an der Ausstellung von Wolfgang Tillmans sehen konnte, der ja genau den Raum und sein Umfeld zum Ausgangspunkt genommen hat, um u.a. über die Rezeption an sich zu reflektieren. Diese räumliche Situation sehe ich als große Chance, die jeweils eigene künstlerische oder kuratorische Arbeit immer wieder neu der Eigenwilligkeit dieses Ortes auszusetzen.

J.Krb.: Der Zustand der Welt mit ihren vielfältigen Problemen und Verwerfungen wurde für Adam Szymczyk und sein Team zum Ausgangspunkt ihrer kuratorischen Überlegungen. Keineswegs möchte ich mich dem allgemeinen documenta-Bashing wie »Festival der gutmütigen Folklore« (Welt) oder »Neuer Höhepunkt der Krise politischer Kunst« (TAZ) anschließen. Was bleibt von der documenta 14? Leitet sie einen Perspektivwechsel ein, ist die Welt der Kunst nur noch global zu betrachten, ist unser bisheriger Wertekanon zur Beurteilung von Kunst zu modifizieren oder gibt es nach dieser politisch ausgerichteten documenta eine Rückbesinnung auf ästhetische und formale Fragestellungen?

B.St.: Ich glaube beides trifft zu. Die documenta 14 hat zu Recht unseren westlichen Qualitätskanon in Frage gestellt und einer globalisierten Realität angepasst, in der die derzeitigen Ausgrenzungen so nicht mehr tragbar sind. Es ist wichtig, dass wir unsere eigenen Kriterien jenseits unserer kulturellen Ausprägung immer neu justieren und wir uns auch der prägenden Faktoren des westlichen Kunstfeldes, angeführt vom Kunstmarkt (den ich ausdrücklich nicht verteufle) bewusst werden. Es setzt sich nun mal nicht einfach das Gute durch, das ist Augenwischerei. An dieser documenta werden wir uns noch lange abarbeiten. Das ist ja schließlich auch die Aufgabe einer documenta – aufzurütteln, neue Setzungen vorzunehmen, zu provozieren. Ich glaube nicht, dass dies im Gegensatz zu einer Rückbesinnung auf ästhetische und formale Fragestellungen steht. Für mich geht beides miteinander einher. Und auch auf der letzten documenta konnten wir viele formale Fragestellungen ausmachen. Vielmehr ist es unser individueller und ebenso der mediale Blick, der die Arbeiten kategorisiert und immer entweder das Politische oder das Formale in den Mittelpunkt stellt. Der öffentliche Diskurs ist leider wenig differenziert. Ich selbst stelle fest, dass mich Ästhetik als politische Kategorie wieder wesentlich mehr interessiert als die reine Darstellung politischer Diskurse. Und gute künstlerische Arbeiten setzen sich für mich immer mit beiden Kategorien auseinander. Kunst lässt sich nicht von der Ästhetik loslösen.

J.Krb.: Klimawandel, Migration, Altersarmut, Gerechtigkeitsdebatte, Weinstein-Affäre, Abgasskandale, Rechtspopulismus und ergleichen mehr beschreiben den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Oftmals werden vor diesem Hintergrund gegenüber der Kunst Erwartungen formuliert, Ver- und Gebote aufgestellt. Kunst habe dieses zu tun und jenes zu lassen. Mir scheint, die Kunst wird heute ständig bedeutungsschwanger aufgeladen. Welche Rolle kann die Kunst in einer neoliberalen und globalisierten Welt einnehmen - fungiert sie als Refugium, leistet sie Widerstand oder wird der Kunst in ihrer politischen Bedeutsamkeit eine Omnipotenz zugeschrieben, die sie so gar nicht besitzt?

B.St.: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Kunst überhaupt keine Funktion erfüllen muss, wenn sie nicht möchte. Das ist schließlich in der Freiheit der Kunst angelegt. Das ist in einer effizienzorientierten Gesellschaft natürlich nur schwer zu ertragen, zumal, wenn es um die Verteilung von Steuergeldern geht. Vergessen wird meines Erachtens immer, dass genau an dieser Stelle die Stärke und Aufgabe der Kunst liegt: dass es eine gesellschaftliche Sphäre gibt, in der ohne Scheuklappen oder gängigen moralischen oder wirtschaftlichen Kategorien gedacht und entwickelt werden kann. Dass man sich das erlauben kann und dass dadurch ganz neue Sichtweisen und Freiheiten entstehen, die für unsere Gesellschaft wichtig sein können. Durch diese Freiheiten entsteht auch viel Unsinn, dieser Unsinn entsteht aber ebenso unter merkantilen Vorzeichen in vielen Banken unserer Welt. Da beschwert sich ja auch keiner. Es wird versucht, der Kunst eine Omnipotenz zuzuschreiben, weil sie ein letzter Hort der Freiheit ist und sie dadurch alles leisten soll, was die gängigen Institutionen nicht mehr schaffen, weil sie viel zu sehr in der eigenen Bürokratie untergehen. Das ist natürlich komplett überzogen. Aber dass die Kunst den Blick schärfen kann, weil sie sich Freiheiten erlaubt, das ist wohl wahr.

J.Krb.: Bis Anfang der 1970er Jahre gab es in Hamburg nur eine Institution, die für Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst genutzt wurde: den Kunstverein. Mittlerweile sind die Orte der zeitgenössischen Kunst nicht nur zahlreicher, sondern auch andere geworden. Die Deichtorhallen, die Sammlung Falckenberg in den Phoenix Hallen, Kunstverein Harburger Bahnhof, Kunsthaus Hamburg. Die Kunsthalle hatte bereits vor Gründung der Galerie der Gegenwart eine Präsenz im Bereich von Gegenwartskunst. Wie sehen Sie die Rollenverteilung zwischen Kunsthalle, Deichtorhallen und Kunstverein?

B.St.: Ich glaube immer noch an die klassische Aufteilung: Museum (Kunsthalle) als Ort der wissenschaftlichen Arbeit und der Retrospektive, die Kunsthalle (Deichtorhallen) als Ort der Mid-Career Ausstellungen und der großen Gruppenausstellungen zu aktuellen Themen und der Kunstverein als Ort der jungen Kunst oder der Positionen, die für die junge Kunst wichtig sind, und als Ort des Experiments, an dem auch mal etwas schief gehen kann. Das funktioniert in Hamburg recht gut.

J.Krb.: Sie zeigten in Hamburg u. a. Ausstellungen mit Wolfgang Tillmans (2017), Liz Magor (2017), Lili Reynaud Dewar (2016), Katja Novitskova (2016), Oliver Bulas (2015), Nina Beier (2015) und Themenausstellungen wie »Jed Martin« (2017), »Generating Talk - Menschen suchen nach ihrem Glück« (2016-2017), »The Elegance of an Empty Room« (2015), »Malerei böse« (2015), »A Paradise Built in Hell« (2014). Sie entscheiden sich für und gegen bestimmte Künstlerinnen und Künstler. Was sind die Kriterien?

B.St.: Man sagt mir nach, dass ich mich gerne an den Rändern der Kunst bewege. Ich mag Künstler mit einer eigenwilligen Haltung, Künstler, die manchmal etwas vergessen sind oder wie »Jed Martin« reine Fiktion. Ich interessiere mich für starke künstlerische Positionen, die Ästhetik und gesellschaftlichen Anspruch miteinander verbinden und souverän damit umgehen können.Seit ein paar Jahren interessiere ich mich zudem sehr für die Schnittmengen der verschiedenen künstlerischen Disziplinen, für die Möglichkeiten, die darin liegen, wenn man die verschiedenen Logiken miteinander verbindet und dies versucht im Ausstellungsraum zu zeigen. Gerade »Jed Martin«, eine Ausstellung die gemeinsam mit dem Schauspielhaus in Hamburg entstanden ist und beide Institutionen miteinander verbunden hat, ist dafür ein gutes Beispiel. Wo gibt es an den Rändern und in den Schnittmengen noch Aufregendes zu entdecken, das wieder Grenzen ausweitet und neue Diskurse öffnet. Gerade im Performativen liegt eine große Kraft, dessen Dimensionen wir noch lange nicht ausgeschöpft haben.

J.Krb: Der Kunstverein in Hamburg feierte 2017 sein 200jähriges Jubiläum und ist einer der ältesten in Deutschland. In einer Vielzahl von Veranstaltungen und Ausstellungen wurde dieser Geburtstag gewürdigt. So mit »The History Show«, die sich mit der Gründungs- und Ausstellungsgeschichte des Kunstvereins seit 1817 auseinandersetzt. Der Kunstverein hat dazu Künstlerlnnen wie Werner Büttner, Beate Gütschow, Franz Erhard Walther, Dani Gal, Christian Philipp Müller eingeladen und sie gebeten, die Vergangenheit zeitgenössisch zu befragen. In welcher Weise haben die Künstler auf diese Thematik reagiert?

B.St.: Wir hatten lange diskutiert, was eine derartige Ausstellung können muss, um einem Kunstverein angemessen zu sein. Wir sind ja kein Museum. Gemeinsam mit dem kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg haben wir erst die Geschichte aufgearbeitet, um dann die wichtigsten Eckdaten und Themen in Kapitel aufzuteilen. Diese Kapitel haben wir dann Künstlern und Künstlerinnen übergeben, die irgendwie mit dem Kunstverein in Verbindung stehen oder standen. Die hatten Carte Blanche und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. In einer außergewöhnlichen Architektur von Olaf Nicolai, die sich auf das Ausstellungsdisplay des modernistischen Gebäudes des Kunstvereins von Karl Schneider bezog, konnte jeder Künstler selbst entscheiden, wie viel Platz er benötigt. Franz Erhard Walther brachte uns anhand seiner Auswahl von im Kunstverein gezeigten Künstlern die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst bei. Dies begann mit Runge, zog sich über Pollock, Walther selbst durfte nicht fehlen und endete mit Tino Seghal. Christian Philipp Müller belebte die Institutionskritik neu und auch wir bekamen unser Fett weg, Kathrin Mayer unterzog die DDR Ausstellung von Uwe Schneede einer feministischen Überprüfung und Dani Gal schaute auf das widerständige Potential der Kunstvereinsausstellungen. Wir haben unsere Geschichte also durch die Künstler und Künstlerinnen selbst erzählen lassen und am Schluss ließ dann der Hamburger Künstler Burk Koller noch ein Banner über den Kunstverein kreisen, der uns darauf hinwies, dass wir uns allen Künstlern und Künstlerinnen zu öffnen haben.

J.Krb.: Gern verweisen Institute am Jahresschluss mit Stolz auf ihre Besucherzahlen. Allerdings so denke ich, fungieren viel zu lange schon Einschaltquoten als Garant für Vortrefflichkeit. Wie bestimmen Sie Erfolg?

B.St.: Nicht über Besucherzahlen, sondern daran, ob der Verein etwas dazu beigetragen hat, spannende künstlerische Entwicklungen nach außen zu tragen und dort zu halten. Die meisten Entwicklungen, die sich letztlich durchgesetzt haben, hätte es nie gegeben, wenn man sie unter dem Kriterium der öffentlichen Aufmerksamkeit beurteilt hätte. Wir freuen uns natürlich, wenn viele Besucher kommen und die Presse interessiert ist, ausschlaggebend ist aber der Impuls, den man setzt, die Experimente, die man zulässt. Da muss man dann vertrauen und hoffen, dass das öffentliche Interesse irgendwann nachkommt.

Joachim Kreibohm